Der Hering hatte gemundet, das zweite Glas Bier stand auf dem Tisch, der Journalist Roland Tichy (»Tichys Einblick«, ehemals Wirtschaftswoche u.a.) arbeitete sich pointiert bis scharfzüngig neben anderem an der Sozialdemokratisierung der CDU ab – da fiel bei den Gästen des Politischen Aschermittwochs der Union das Stichwort. Vom »Grummeln in der CDU« sprach ein Christdemokrat im Bürgerhaus Wißmar. Eher verhalten sagte er es; ganz so, als müsse er zögern, das heikle Thema anzusprechen. Aber damit stand es im Raum. Denn die zuende gegangenen Verhandlungen der Bundes-CDU mit der SPD über eine Neuauflage der Großen Koalition bewegt die Menschen.

Was fühlen die Mitglieder in den Gemeindeverbänden aus Wettenberg, Lollar, Staufenberg, Allendorf und Rabenau? Zufrieden jedenfalls scheinen nicht alle zu sein. »Viele sind nicht ganz glücklich mit dem Koalitionsvertrag«, brach es aus der stellvertretenden CDU-Kreisvorsitzenden Christel Gontrum heraus. – »Aber was ist denn die Alternative?« schob die Hungenerin die Frage nach, die sich viele stellen.

Kritische Stimmen

Und der frühere Gießener Regierungspräsident Wilfried Schmied beklagte unverhohlen »177 Seiten Dokumentation tiefen Misstrauens gegeneinander«. In einem Koalitionsvertrag könne man nicht über vier Jahre im Voraus alle möglichen Details regeln. »Da habe ich große Zweifel«, sagt der Politprofi, der in bald 50 Jahren Arbeit viele Höhen und Tiefen durchlaufen hat. Er erinnerte an frühere Koalitionspapiere zwischen CDU/CSU und FDP, bei denen auf gerade Mal acht Seiten Eckpunkte vereinbart waren.

Der Konservative Roland Tichy, bei aller Kritik an Merkel’scher Politik der Union doch eher wohl gesonnen, korrigierte zum Groko-Papier leicht spitz: »Es ist kein Vertrag. Es ist eine politische Absichtserklärung«. Um auf Nachfrage aber zu bekennen: »Wenn ich eine Stimme hätte, dann würde ich dem Vertrag nicht zustimmen.«

Minderheitenregierung als Alternative?

Das scheint noch mehr Christdemokraten so zu gehen. Denn es ging ein beifälliges Raunen durch den Bürgerhaus-Saal, als Gastredner Tichy auf Roland Koch (»Kennt den noch jemand?!«) verwies. Der hatte einer CDU-Minderheitenregierung als dem besseren Weg das Wort geredet.

Tichy, seit bald 40 Jahren das politische Leben in der Republik in unterschiedlichen Funktionen begleitend, kommentiert dies wohlwollend: »Die Minderheitenregierung wäre schwierig. Die Groko macht es vielleicht leichter. Aber nicht besser«.

Einem Dreier-Bündnis der Union mit der FDP und den Grünen erteilte Tichy auf Nachfrage des Liberalen Jörg Guderian eine Absage: Zu unterschiedlich seien die Positionen zwischen Grünen und FDP: »Wie soll das dann gehen?«

Wunsch nach schärferem Profil

Schon eingangs hatte der Gastgeber, der Wettenberger CDU-Vorsitzende Dr. Gerhard Noeske, dafür plädiert, die Union müsse ihr Profil schärfen. Und zwar mit den Inhalten, mit denen sie im Bundestagswahlkampf angetreten sei. Auch wenn die SPD für die Medien spannender sei durch den Fokus auf »die Schreie und das Zappeln eines Ertrinkenden«, wolle die Union doch lieber mit Sachargumenten wahrgenommen werden.

»Wissen Sie, in welchem Wahlkreis wir hier sind? Dem von Helge Braun. Er wird uns sagen, dass es ein guter Koalitionsvertrag ist«, prophezeit ein CDU-Mann aus dem Lumdatal.

Eine Einschätzung zum Koalitionspapier, die Tichy beileibe nicht teilt. »Sieht nicht so wahnsinnig gut aus«, konstatiert er gleich eingangs, auch wenn das ihm als Vorsitzendem der Ludwig-Erhardt-Stiftung gegebene Thema eigentlich lautete: »Was hat uns Ludwig Erhardt heute noch zu sagen?«. Vor allem beklagt Tichy, einer der ideologischen Nachlassverwalter des Kanzlers mit der Zigarre, dass es der CDU nicht gelinge, die Idee der Marktwirtschaft wieder mit Leben zu füllen. Sein Credo lautet: Weniger Staat! Mehr Eigenverantwortung der Bürger.
Gießener Allgemeine

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